Bei der Bewertung der Genauigkeit eines Linearbewegungssystems liegt der Schwerpunkt häufig auf der Positioniergenauigkeit und Wiederholgenauigkeit des Antriebsmechanismus. Es gibt jedoch viele Faktoren, die zur Genauigkeit (oder Ungenauigkeit) eines Linearsystems beitragen, darunter Linearfehler, Winkelfehler und Abbé-Fehler. Von diesen drei Fehlerarten sind Abbé-Fehler wahrscheinlich am schwierigsten zu messen, zu quantifizieren und zu vermeiden, können aber die Hauptursache für unerwünschte Ergebnisse bei Bearbeitungs-, Mess- und hochpräzisen Positionierungsanwendungen sein.
Abbé-Fehler beginnen als Winkelfehler
Abbé-Fehler entstehen durch die Kombination von Winkelfehlern im Bewegungssystem und dem Versatz zwischen dem interessierenden Punkt (Werkzeug, Last usw.) und dem Ursprung des Fehlers (Schraube, Führung usw.).
Winkelfehler – allgemein als Roll-, Nick- und Gierfehler bezeichnet – sind unerwünschte Bewegungen aufgrund der Drehung eines linearen Systems um seine drei Achsen.
Wenn sich ein System horizontal entlang der X-Achse bewegt, wie unten gezeigt, wird Nicken als Drehung um die Y-Achse, Gieren als Drehung um die Z-Achse und Rollen als Drehung um die X-Achse definiert.
Fehler bei Roll-, Nick- und Gierungsbewegungen entstehen typischerweise durch Ungenauigkeiten im Führungssystem. Aber auch Montageflächen und -methoden können Winkelfehler verursachen. Beispielsweise können nicht präzise bearbeitete Montageflächen, unzureichend befestigte Komponenten oder unterschiedliche Wärmeausdehnungsraten zwischen System und Montagefläche zu Winkelfehlern führen, die größer sind als die in den Linearführungen selbst.
Abbé-Fehler sind besonders problematisch, da sie die in den meisten Fällen sehr kleinen Winkelfehler verstärken und ihre Größe mit zunehmender Entfernung von der fehlerverursachenden Komponente (dem sogenannten Abbé-Offset) zunimmt.
In der Abbildung rechts beträgt der Abbé-Offset h. Der Abbé-Fehler δ lässt sich mit der folgenden Gleichung bestimmen:
δ = h * tan θ
Bei überhängenden Lasten ist der Abbé-Fehler umso größer, je weiter die Last von der Ursache des Winkelfehlers (typischerweise der Führungsschiene oder einem Punkt auf der Montagefläche) entfernt ist. Bei mehrachsigen Konfigurationen sind Abbé-Fehler sogar noch komplexer, da sie durch Winkelfehler in jeder Achse verstärkt werden.
Abbé-Fehler lassen sich am besten durch hochpräzise Führungen und die ausreichende Bearbeitung der Montageflächen minimieren, um zusätzliche Ungenauigkeiten im System zu vermeiden. Auch die Reduzierung des Abbé-Offsets durch möglichst nahes Verschieben der Last in die Systemmitte minimiert Abbé-Fehler.
Abbé-Fehler lassen sich am genauesten mit einem Laserinterferometer oder einem anderen optischen Gerät messen, das völlig unabhängig vom System ist. Da Laserinterferometer für die meisten Messaufbauten jedoch unpraktisch sind, werden in vielen Anwendungen, bei denen der Abbé-Fehler eine Rolle spielt, Linearencoder eingesetzt. In diesem Fall werden die genauesten Abbé-Fehlermessungen erreicht, wenn der Encoder-Lesekopf am relevanten Punkt – d. h. am Werkzeug oder an der Last – montiert wird.
XY-Tische sind weniger anfällig für Abbé-Fehler als andere Arten von Mehrachsensystemen (wie etwa kartesische Roboter), vor allem weil sie den freitragenden Weg minimieren und typischerweise mit der Last in der Mitte des Y-Achsen-Schlittens arbeiten.
Beitragszeit: 09.02.2022